Es war Anfang der sechziger Jahre, als ich mich gemeinsam mit fast allen Mitschülerinnen aus meiner Klasse, die Obertertia eines Mädchengymnasiums, bei der Tanzschule Amanda für den Schülerkurs anmeldete. Gleiches taten die Jungs vom gegenüberliegenden Jungengymnasium. Ich war damals ein schüchternes, linkisches und auch nicht besonders hübsches Mädchen. Einige Mädchen aus meiner Klasse, die Hübschen, hatten bereits ihre Fühler zu den Jungs ausgestreckt, für mich waren diese Burschen völlig fremdes Terrain.
In der Tanzschule saßen wir nebeneinander wie die Hühner aufgereiht auf Stühlen, gegenüber, getrennt durch die Tanzfläche, saßen die Jungs. Zu Beginn eines Übungstanzes liefen die Jungs zu dem Mädchen, welches ihnen gegenüber saß und forderten es auf. Nach dem Tanz rückten die Mädchen einen Stuhl weiter. So war sichergestellt, dass alle Mädchen einen Tanzpartner bekamen.
Amanda gab mit scharfer Feldwebelstimme ihre Befehle: Vor –Rück -Wiegeschritt. Einmal ertönte laut der Spruch: Die Eck, die Eck, die Eckermann (mein Mädchenname), die eckt beim Tango immer an. Es gab kein so großes Loch, in das ich am liebsten versunken wäre. Nein, besonders glücklich war ich damals nicht.
Meine Freundin Jutta und ich schwärmten für Jürgen, ein nett aussehender Junge, dem unsere Verehrung natürlich völlig entging. Außer bei den Pflichttänzen würdigte er uns keines Blickes.
Dann nahte der Abschlussball. Mir wurde ein Knabe namens Alfred zugeteilt, ähnlich schüchtern und linkisch wie ich. Eigentlich passten wir gut zueinander, aber wir konnten nichts miteinander anfangen. Alfred wird den Abend ähnlich bedrückend empfunden haben wie ich.
An einen an diesem Abend vorgetragenen Sketch kann ich mich noch gut erinnern:
„Inwiefern sich Männer und Frauen unterscheiden, erkennt man bereits an den Bezeichnungen, wenn man sie buchstabiert:
Mann = Mmmmh, aahh, nnn, nnn.
Weib = Wwwe, eehhh ieehhh, bhh.
Alle haben herzlich gelacht. Ja, so war das damals.
Nach absolviertem Abschlussball durfte man den sonntäglichen Tanztee bei Amanda besuchen. Meine Freundin Jutta und ich sprachen uns Mut zu und marschierten an einem Sonntagnachmittag die 5 km zu unserer Tanzschule. Wieder saßen wir den Jungs gegenüber wie bei den Tanzstunden, jetzt jedoch ohne Tanzpartnergarantie. Man musste aufgefordert werden. Es kam wie es kommen musste, meine Freundin Jutta und ich saßen geschlagene 2 Stunden auf unseren Stühlen, ohne dass auch nur ein Junge uns zum Tanzen aufgefordert hätte. Die dabei empfundenen Gefühle kann ich gar nicht beschreiben. Jutta und ich trotteten mit hängenden Köpfen nach Hause. Dort angekommen, fiel ich meiner Mutter in die Arme und schluchzte mein Elend heraus. Von Stund an bereitete sich meine Mutter darauf vor, niemals einen Schwiegersohn zu bekommen.
Aus dem hässlichen Entlein ist zwar kein schöner stolzer Schwan geworden, jedoch immerhin eine ganz passable Nilgans, auch ein recht hübscher Vogel. Und diese Nilgans fand den passenden Ganter, der sie bis heute liebevoll und treu durchs Leben begleitet hat.
Und zum Trost für alle Mädchen, die sich uncool finden: Ich bin mit meinen fast 70 Jahren heute zufriedener mit meinem Aussehen als damals Anfang der sechziger Jahre.